Rede von Ulrike Hunold vor der Kieler Ratsversammlung

Rede von Ulrike Hunold als Vertretungsberechtigte des Bürgerbegehrens zu Möbel Kraft, am 16.1.2014 vor der Kieler Ratsversammlung

Sehr geehrter Herr Stadtpräsident, sehr geehrter Herr Bürgermeister, sehr geehrte Damen und Herren!

Ich stehe hier in Vertretung von unzähligen Kielern und Kielerinnen. Das ist der Berufsschüler, der keinen Sinn in einem Klassenzimmer sieht, das gegenüber einem Möbelzentrum liegt. Das ist der 60jährige Friedrichsorter, der um seine Zukunft bei Möbel Rixen sieht. Es ist – ja, und ich fände es nett, wenn nicht gleich kommentiert wird – es ist die Studentin am Südfriedhof, die gerne dort wohnt. Und es sind die unzähligen Kieler und Kielerinnen, die eine weitere Zerstörung des Grüngürtels verhindern wollen. Allen gemeinsam ist zudem, daß sie nie wieder erleben wollen, daß ein Großprojekt so an den Bürgern vorbei geplant wird und ein Gelände vor einem rechtskräftigen Bebauungsplan verkauft wird.

Ich will an dieser Stelle kurz rekapitulieren: Als erster Kontakt Kiels wird in der Gläsernen Akte das Gespräch von Torsten Albig, seinem Referenten und Dr.George von Möbel Kraft am 1.7.2010 angegeben. Ein Jahr später erfährt die Öffentlichkeit und die meisten der damaligen Ratsabgeordneten davon. Einen weiteren Monat später stellt sich in der Ortsbeiratssitzung raus, daß die Standortalternativenprüfung bereits abgeschlossen ist. Die aufgebrachten Bürger werden vertröstet: „Noch ist gar nichts entschieden – die Bürgerbeteiligung kommt doch noch“, heißt es. Einen weiteren Monat später geht es um den Aufstellungsbeschluß in der Ratsversammlung. Es gibt zwei Anträge: Der erste Antrag sieht einen baldigen Verkauf vor, der zweite Antrag sieht den Verkauf erst nach Abschluß des Bauleitverfahrens vor. Der erste Antrag geht mit den Stimmen der Kooperation durch.

Verkauf Ende Mai 2012. Dann läßt der Investor schätzen. Er bietet den Kleingärtnern 25 Prozent Bonus für die Selbstkündigung. Parallel setzt Vandalismus ein. Das Gelände erscheint weitestgehend preisgegeben. Und so kommt es, daß bis auf 3 Pächter bis zum Ende letzten Jahres alle Pächter kündigen. Alles erscheint klar – oder nicht?

Ende Februar gab es eine Gesetzesänderung zum Thema Bürgerentscheide. Nach einigen Wochen, wo die Kommunalaufsicht überlegen mußte, ob es zulässig ist, startete das Bürgerbegehren im August. Endlich gab es die Bürgerbeteiligung, die wir uns so lange gewünscht haben und die so lange verweigert wurde. Ich will hier kurz einfließen lassen, uns wurde vorgeworfen, wir würden die Demokratie unterwandern. Schließlich seien die Ratsabgeordneten die gewählten Vertreter der Bürger, und die hätten ja schließlich den Aufstellungsbeschluß beschlossen. Aber für uns heißt Aufstellungsbeschluß: Ja, wir begrüßen das Vorhaben, und wir gucken jetzt, ist es sinnvoll und ist es machbar an dieser Stelle. Wozu soll es denn sonst die ganzen Gutachten geben? Was aber jetzt geschieht und in den letzten Monaten geschehen ist, hat nichts mehr mit einer ergebnisoffenen Untersuchung zu tun.

Ich möchte einmal hervorheben, das Umweltgutachten hat gesagt, daß das Gelände besonders artenreich ist. 59 Brutvogelarten, davon allein 39 nur auf dem Gelände des Prüner Schlages und nicht die Schützengilde eingeschlossen; 8 Fledermausarten. Und trotzdem: Im Oktober der Vorentwurf sieht unverändert die alte vom Investor gewünschte Größe vor, nämlich Möbel Kraft zweieinhalb mal so groß wie Ikea, Sconto einhalb mal so groß wie Ikea. Das was im Moment geschieht, der Laubenabriß im Randbereich, intakter Lauben, entspricht den Ausgleichsmaßnahmen des Vorentwurfs. Bei diesem Vorentwurf hat es keine Bürger- und auch keine
Ratsbeteiligung gegeben. Nichts davon ist rechtskräftig. Der Aufstellungsbeschluß wirkt also wie ein Freibrief für die Verwirklichung der Pläne des Investors und auch des Baudezernenten. Folglich sehen wir den Bürgerentscheid als legitim und sogar dringend notwendig an, um die Bürgerbeteiligung herbeizuführen.

Warum nun wollen wir den Inneren Grüngürtel erhalten? Der Innere Grüngürtel bedeutet Gemeinwohl. Vor fast 100 Jahren entwickelte der Stadtplaner Hahn ein Konzept des Inneren Grüngürtels. Die sah nur noch zusätzliche Besiedelung außerhalb dieses Bereiches vor. Und so kommt es eben, daß Elmschenhagen, Hasseldieksdamm, Poppenbrügge außerhalb des Grüngürtels liegen. Der Innere Grüngürtel wurde als wichtig erachtet für die Menschen, die innerhalb des Rings in den dicht besiedelten Stadtbezirken wohnten. Es war die Grüne Lunge, es war Erholungsraum, Garten , Klima- und Lärmausgleich, und es ermöglichte ein Zusammenkommen aller sozialen Schichten. In den meisten Städten, zum Beispiel in Köln der Ring, oder in Frankfurt, in Göttingen gibt es auch Grüngürtel – zu Recht.

1961 hatte Kiel 273.000 Einwohner. Und trotzdem, der Innerere Grüngürtel war ein Tabu für die Stadtplaner: Mettenhof wurde außerhalb gebaut, Neu-Meimersdorf, Suchsdorf an der Au; nichts im Grüngürtel. Der große Tabubruch begann erst in den letzten Jahrzehnten: Der Olof-Palme-Damm oder der Ausbau der Universität, das beides diente noch unmittelbar der Allgemeinheit. Aber Ikea, Telekom-Neubau oder jetzt die Pläne zu Möbel Kraft und Sconto dienen ausschließlich privatwirtschaftlichen Interessen.

Der Innere Grüngürtel hat unverändert auch heute noch eine wichtige Funktion. Das sieht auch das „Freiräumliche Leitbild” von 2007 so und auch das „Integrierte Stadtentwicklungskonzept“ INSEKK von 2011. Ich zitiere jetzt aus dem „Freiräumlichen Leitbild“:
Zeichnet sich langfristig ein Wandel (in der Nachfrage nach Kleingärten) ab, so können die heutigen Kleingartengebiete alle übrigen Funktionen übernehmen, die sonst im Innenstadtring vorkommen. Insbesondere für den Biotopverbund ist hier ein großes Potential vorhanden. Aufgrund der Nähe zu den Wohngebieten muß jedoch die Erholungsfunktion in hohem Maße berücksichtigt werden.“ Zitatende.
Die aktuellen Leitlinien des Deutschen Städtetages sagen Ähnliches: Kleingärten sind wichtig als Orte des sozialen Ausgleichs, sie werten benachbarte Stadtteile auf. Dort heißt es: Das Kleingartenwesen ist zu fördern; wenn die Nutzung nicht aufrecht zu halten ist, sollen die Flächen als Natur- und Erholungsraum umgestaltet werden. Kleingartenparks, zum Beispiel in Dresden, zeigen, was damit zum Wohle aller Bürger geschehen kann. Damit dürfte klar sein, daß durch Auszahlung von Pächtern keine Entscheidung getroffen werden kann zugunsten eines Gewerbes und gegen das Gemeinwohl Grüne Lunge in Kiel.

Der Grüngürtel ist ein weicher Standortfaktor. Mehrere Untersuchungen der letzten Jahre haben ergeben, daß zu viele Studenten nach ihrem Abschluß die Stadt verlassen. Wo aber bleibt ein Jungunternehmer in zukunftsträchtigen Bereichen? Dort, wo es Austausch mit Fachkollegen gibt – das ist vorhanden. Und wo die Lebensqualität stimmt – und da steht „Grün“ an erster Stelle. Gute Erreichbarkeit der Innenstadt, bezahlbare Mieten, ein Kultur-und Freizeitangebot, aber eben nicht ein riesiges Möbelzentrum in der Nähe.

Was könnte nun für Möbel Kraft sprechen? Die Nachzahlungssumme als Gewerbegebiet würde kurzfristig die Stadtsäckel füllen; schon bei den Gewerbesteuereinnahmen ist die Rechnung fraglich: Schließlich handelt es sich hier um einen Verdrängungswettbewerb zwischen Möbelhäusern. Und die Innenstadt würde wegen der Mitnahmeartikel von Sconto und Möbel Kraft leiden. Schließlich, jeder Euro kann nur einmal ausgegeben werden. Ein weiteres Argument sind Arbeitsplätze für Geringqualifizierte. Ich erinnere daran: Bei Möbel Kraft gibt es keinen Manteltarifvertrag wie bei Ikea. Dort kommen Aufstocker zum Zuge, d.h. Möbel Kraft expandiert auf Kosten der öffentlichen Hand.

Zusammengefasst: Langfristig schadet diese überdimensionierte Ansiedlung an dieser Stelle dem Gemeinwohl. Die Zukunft Kiels liegt im Erhalt seines Grüngürtels, gerade auch hier am Westring. SPD, Grüne und SSW schreiben in ihrem ersten Kooperationsvertrag: „Stadtentwicklung muß zur Sache der Bürgerinnen und Bürger werden.
Der Bürgerentscheid darf nicht zur Farce verkommen, weil jetzt Tatsachen geschaffen werden.
Ich fordere Sie daher dringend auf, wieder Vertreter der Kielerinnen und Kieler zu werden.
Danke.